G E S T A L T - K U N S T - K U L T U R

GÜNTER BRUS:
"Leuchtstoff-Poesie und Zeichen-Chirurgie"
Bild-Dichtungen Retrospektive 1971-1999

Anlässlich der o. a. Ausstellung in der Neuen Galerie in Linz schrieb Markus Mittringer in Der Standard vom 14. April 2000 den untenstehenden Artikel. Sein Titel:

Der stets erregte Ich-Ausdrücker

Nach Stationen in Kiel und Tübingen ist Günter Brus´ Retrospektive "Leuchtstoff Poesie - Bild-Dichtungen 1970-1998" jetzt in Linz zu sehen. Markus Mittringer fand einen gelassenen Chronisten.

 Linz - 1998 notierte Günter Brus Leuchtstoff Poesie und Zeichenchirurgie, eine umfassende Bild-Dichtung, ein in sich geschlossenes Text-Bild-Konglomerat, eine zeitlose Zeitschrift. Gewandt kommentiert er sich im Künstlerbuch durch Kunst- und Zeitgeschichte. "Ich möchte alle Bereiche, die optisch und sprachlich abbildbar sind einbeziehen. Und das geht vom Märchen bis zu Vorstößen in abstrakte Bereiche und bis zur Selbstbetrachtung als ein Ausgesetzter und um seine Existenz Bangender."

 

Mit der Zerreißprobe entsagte er 1970 dem Aktionismus österreichischer Sonderlichkeit als Ausdrucksform des Unbehagens mit dem Ich und all den Anderen. 1971 notierte er Irrwisch, sein erstes Bilder-Buch - und hatte damit seine Form gefunden. Viele weitere Bild-Dichtungen entstanden als drangvolles Festlegen von Eigenem, kommentierendes Zitieren der Anderen, revidierendes Entblößen, entäußerndes Suchen.

Und die Brussche Formfindung erwies sich als offen genug, zu subsumieren, was immer auch die Selbstbespiegelung zutage förderte: das Bangen der katholisch geprägten Seele im aktionsgeschundenen Künstlerleib, die nicht abklingen wollende Erregung ob der Rahmenbedingungen des Daseins, den Widerstand gegen den tödlich dumpfen Alltag.

"Dieses Land ist eine Dunkel- und Dünkelkammer, ein Untertagbauland, wo Vorurteile geschürft, nicht aber abgebaut werden", schreibt Brus 1998. Er hätte den Satz auch 1968 schreiben können, als Staatsbürger Brus, der seinen Körper betrachtet, oder als Exilregierender von Berlin aus oder auch erst nächstes Jahr. Und da er sich nicht verdrängen ließ und das schon gar nicht vorauseilend selbst getan hat, blieb nichts, als ihn auszuzeichnen. Und dekoriert mit dem großen Staatspreis der Dünkelkammer fertigt er seine Kunststücke jetzt eben etabliert anstatt verhaftet.


Doch selbst diese perfideste aller Rachestrategien konnte ihn nicht abbringen von weiteren Tauchgängen im Eingemachten der Republik und in den Gräben des eigenen Existierens zwischen Gemächt und Charakter. Und der Stoff, der sein Bangen nährt, er wird nicht ausgehen. Ringsum finden sich genügend Tatbestände, seine Erregung hoch zu halten. Nur dass eben seiner Erregung mittlerweile affirmativ gekontert wird.

Und Günter Brus schlägt gelassen zurück, ist einfach typisch Brus, ohne sich dabei zu wiederholen, hat sich eingerichtet im Dasein als frisch deklarierter Klassiker, sondert souverän ab, was ihm zu all dem einfällt, enthält sich der Gefälligkeiten, die der Erfolg hierzulande den Erfolgreichen abverlangt. In Eintracht mit dem Verbliebensein im Herz der Niedertracht produziert er Visionen von betörender Ohnmacht.

 

 
 Ungleich anderen Aktionisten pflegt er keine Tradition des Wehleids. Da hat von den Vielen, die in ihm stecken, nie einer nur die Oberhand behalten, da hat rechtzeitig der Kabarettist im Brus aufgeschrien, wenn der Mahner zu laut wurde, der Politiker, wenn der Zeichner drohte, sich hoffnungslos in seine Manier zu verlieben. Bauch und Kopf haben im ewigen Zwiespalt zueinander gefunden. Und so wurde aus dem verzweifelt Urinierenden ein großer Erzähler.