Horst Kasper
"Mobbing in der Schule", Probleme annehmen Konflikte lösen
AOL + Beltz Pädagogik, 2. Auflage, 1998, Seite 99

 

Horst Kasper lässt in seinem Buch Frau Karin Stinner, Gymnasiallehrerin aus Nordrhein-Westfalen zu Wort kommen:

 

Sie interessieren sich für die Horrorerlebnisse, die ich als "Westlehrerin" in einem der neuen Bundesländer an der Gesamtschule in S. hatte? Es fällt mir immer noch schwer. Ich will das Schlimmste stichwortartig nennen:

Mir war vom ersten Tag an klar, dass ich keine Chance hatte. Die meisten waren fürchterlich primitiv und gehässig.
 
Der Schülersprecher teilte mir gleich zu Beginn mit, ich möge am besten sofort wieder verschwinden. Sie hätten bereits zwei Westlehrerinnen gehabt. Eine hätte es ein Jahr ausgehalten, eine andere ein halbes.
 
Die Schüler der 10. Klasse haben in den fünf Monaten meines Unterrichts dort meinen Gruß nicht erwidert.
 
Die meisten Kollegen haben nicht mit mir gesprochen, auch nicht fachlich.
 
In der 9. Klasse des gymnasialen Zweiges konnte ich nicht eine normale Stunde halten. Trotz der Bemühungen der Schulleiterin mir zu helfen, boykottierten die Schüler meinen Unterricht und machten Chaos.
 
Persönliche Beleidigungen waren an der Tagesordnung. Schlimmstes Beispiel: Eine Schülerin aus der neunten Klasse sagte während des Unterrichts zu mir: "So was Blödes wie Sie müsste man erschießen." Sanktionen waren schwer durchzusetzen.
 
Einmal gelang es mir, eine Klassenkonferenz in einer ähnlichen Sache einzuberufen und notwendige Sanktionen zu erreichen, was mir von den meisten Kollegen übel genommen wurde und nicht noch einmal möglich war.

Zum Schluss haben mir die Schüler dieser Klasse neun die Zufahrt zum Parkplatz, der nur über den Schulhof erreichbar war, versperrt. Die aufsichtsführende Lehrerin stand nur einige Meter vom Geschehen entfernt und wandte sich ab.Zu diesem Zeitpunkt befand ich mich wegen der täglichen schlimmen Ereignisse bereits in ärztlicher Behandlung. Ich habe diese Schule nie wieder betreten.Schüler, die mir gegenüber positiv eingestellt waren, kamen auf mich zu und berichteten mir von sich aus davon, dass eine bestimmte Fachkollegin gegen mich gearbeitet und die Schüler gegen mich aufgehetzt habe. Dass diese Kollegin berechtigte Existenzängste haben musste, ist mir bewusst. Der Hass, den sie auf mich als Westlehrerin darüber entwickelte, ist mir jedoch unbegreiflich ebenso wie der Rufmord an mir, zu dem sie die Schüler instrumentalisierte.

Inzwischen geht es mir insofern besser, als ich gegen heftige Widerstände des bisherigen Schulamtes die Versetzung an ein andere Schule erreicht habe, die allerdings mehr als eine Autostunde von meinem Wohnort entfernt liegt. Die Lage der Schule hat ihr Gutes: Der Hass auf den Westen ist hier längst nicht in dem Maße ausgeprägt wie in und um N. Es hat auch hier einige Vorfälle wie in S. gegeben, jedoch in weit weniger schlimmem Ausmaß. Der wichtigste Unterschied: Hier finde ich Rückhalt im Kollegium und werde nicht als "Westlerin" gemieden und stigmatisiert.