Jean Ziegler: Der Hass auf den Westen
Ein Auszug aus dem Epilog

Präsident Bush und nach ihm Präsident Obama rechtfertigen die Strategie folgendermaßen: Einerseits bekämpft die Ersetzung von fossiler durch pflanzliche Energie die Luftverschmutzung, andererseits reduziert diese Strategie die Auslandsabhängigkeit der USA vom Erdöl.
Beide Motive sind auf den ersten Blick vertretbar. Bei näherer Betrachtung bedeutet die Strategie jedoch ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Um den 50-Liter-Tank eines Mittelklassewagens mit Bioethanol zu füllen, werden 358 Kilogramm Mais verbrannt. Mit 358 Kilogramm lebt ein Kind in Mexiko oder Sambia, wo Mais Grundnahrungsmittel ist, ein Jahr lang.
Die westlichen Nahrungsmittelkonzerne erzielen mit Biodiesel und Bioethanol astronomische Gewinne.
Soll das Bettelvolk auf der Südhälfte des Planeten doch krepieren!
Der Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen tagt jedes Jahr abwechselnd in New York oder Genf. UNICEF (Kinder), FAO (Landwirtschaft), WFP (Ernährung), WHO (Gesundheit), UNESCO (Bildung), ILO (Arbeit) und all die anderen Sonderorganisationen der UNO müssen dort ihre jährlichen Tätigkeitsberichte vorlegen.
Aus der umfangreichen Dokumentation, die dem Rat 2008 zugänglich gemacht wurde, geht hervor, dass sechsunddreißig Millionen Menschen am Hunger oder seinen unmittelbaren folgen gestorben sind (Krankheiten infolge Unter- oder Fehlernährung: Kwashiorkor, Anämie etc.). Dass an Krankheiten, die im Westen längst besiegt sind (Tuberkulose, Gelbfieber, Malaria etc.), noch einmal neun Millionen Menschen durch den Konsum verschmutzten Wassers ihr Leben verloren haben, dass weitere Millionen Aids zum Opfer gefallen sind, einer Krankheit, die man im Westen dank der Kombinationstherapien weitgehend im Griff hat.
Nach den 2008 von den Sonderorganisationen der UNO veröffentlichten Zahlen hat sich die Zahl der Todesfälle, die in den Ländern des Südens durch die Unterentwicklung der wirtschaftlichen Produktivkräfte und durch die extreme Armut hervorgerufen wurden, auf mehr als neunundfünfzig Millionen erhöht.
Von schweren Schäden infolge permanenter Unterernährung, Medikamentenmangel, Trinkwassermangel sind mehr als 2,2 Milliarden Menschen - ein Drittel der Menschheit - betroffen.
Die verheerenden Folgen des Zweiten Weltkriegs beziffern die Demographen wie folgt: Sechzehn bis achtzehn Millionen Männer und Frauen sind im Kampf gefallen, mehrere zehn Millionen Kriegsteilnehmer wurden verstümmelt, amputiert, entstellt. Zwischen fünfzig und fünfundfünfzig Millionen Zivilisten wurden getötet. Die Zahl der verwundeten Zivilisten beläuft sich auf mehrere hundert Millionen.
In der südlichen Hemisphäre vernichten Epidemien, Hunger, verschmutztes Wasser und durch Elend ausgelöste Bürgerkriege jedes Jahr fast ebenso viele Menschen wie der Zweite Weltkrieg in sechs Jahren.
Wie können wir mit diesem zerstörerischen System brechen? Wie den Hass, den es nährt, in eine sieghafte historische Kraft verwandeln, die Gerechtigkeit und Befreiung einfordert?

 
G emeinschaftliches
W irtschaften mit
N achhaltigkeit

Bereits John Steinbeck hat in seinem Werk "Jenseits von Eden" auf die geschilderten Zusammenhänge reagiert und ließ Adam verkünden: "... Ich will das Geld nicht."

Nebenstehender Text entnommen aus:

Jean Ziegler, Der Hass auf den Westen, München: Bertelsmann, 1. Aufl., 2009, S 257 ff

Ein ZEIT-Artikel zum Nachdenken: > Kapitalismus als Kettenbrief - Ketten von Gläubiger-Schuldner-Beziehungen machen den Kapitalismus aus