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Viele Übel der heutigen kapitalistischen und kommunistischen
Gesellschaften wären durch die Garantie eines jährlichen
Mindesteinkommens zu beseitigen.
Diesem
Vorschlag liegt die Überzeugung zugrunde, daß jeder
Mensch, gleichgültig, ob er arbeitet oder nicht, das bedingungslose
Recht hat, nicht zu hungern und nicht obdachlos zu sein. Er soll
nicht mehr erhalten, als zum Leben nötig ist - aber auch
nicht weniger. Dieses Recht scheint uns heute eine neue Auffassung
auszudrücken, doch in Wirklichkeit handelt es sich um eine
sehr alte Norm, die sowohl in der christlichen Lehre verankert
ist als auch von vielen "primitiven" Stämmen praktiziert
wird: daß der Mensch das uneingeschränkte Recht
zu leben hat, ob er seine "Pflicht gegenüber der Gesellschaft"
erfüllt oder nicht. Es ist ein Recht, das wir unseren
Haustieren, nicht aber unseren Mitmenschen zugestehen. (S 181)
...
kein Mensch, der von einem anderen wirtschaftlich abhängig
ist (beispielsweise von den Eltern, dem Ehemann, dem Chef), wäre
weiterhin gezwungen, sich aus Angst vor dem Verhungern erpressen
zu lassen. Begabte Menschen, die sich auf einen neuen Lebensstil
vorbereiten wollen, hätten dazu Gelegenheit, wenn sie bereit
sind, eine Zeitlang ein Leben in Armut auf sich zu nehmen. Die
modernen Sozialstaaten haben diesen Grundsatz - beinahe - akzeptiert,
das heißt "nicht wirklich". Die Betroffenen werden
nach wie vor von einer Bürokratie "verwaltet",
kontrolliert und gedemütigt. Ein garantiertes Einkommen
würde bedeuten, daß niemand einen "Bedürftigkeitsnachweis"
zu erbringen braucht, um ein bescheidenes Zimmer und ein Minimum
an Nahrung zu erhalten. Es wäre daher auch keine Bürokratie
zur Verwaltung eines Wohlfahrtsprogramms mit ihrer typischen
Verschwendung und Mißachtung der Menschenwürde vonnöten.
Das
garantierte jährliche Mindesteinkommen bedeutet echte Freiheit
und Unabhängigkeit. Deshalb ist es für jedes auf Ausbeutung
und Herrschaft basierende System, insbesondere die verschiedenen
Formen von Diktatur, unannehmbar. ...
Wenn
man sich die Kosten vor Augen hält, die eine weitverzweigte
Sozialhilfebürokratie heute verursacht, und dazu die Kosten
der Behandlung physischer, insbesondere psychosomatischer Krankheiten
sowie die Bekämpfung der Kriminalität und der Drogenabhängigkeit
rechnet, so ergibt sich vermutlich, daß die Kosten für
jene Personen, die ein jährliches Mindesteinkommen in Anspruch
nehmen wollen, geringer wären als die Ausgaben für
unsere gegenwärtige Wohlfahrt. Dieser Gedanke wird all jenen
undurchführbar oder gefährlich erscheinen, die überzeugt
sind, daß "Menschen von Natur aus faul" sind.
Dieses Klischee hat jedoch keine faktischen Grundlagen; es ist
einfach ein Schlagwort, das zur Rationalisierung der Weigerung
dient, auf das Bewußtsein der Macht über die Schwachen
und Hilflosen zu verzichten.
(S 182) |
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