Die folgenden Auszüge aus dem genannten Jahresbericht des SÜDWIND Institut für Ökonomie und Ökumene machen erschreckend deutlich, in welcher mitmenschlichen Eiszeit wir mittlerweile angekommen sind. Sie sollen uns wachrütteln, an den Grundfesten der dahinterliegenden Strukturen Veränderungen zu initiieren.
Geschäftsführerin Martina Schaub stellt an den Beginn ihres Editorials (S 3) dieses Zitat von Nelson Mandela: "Was im Leben zählt, ist nicht, dass wir gelebt haben, sondern wie wir das Leben von anderen verändert haben." Schaub weiter: "... es sind nicht immer die spektakulären Aktionen, die das Leben von anderen verändern. Oft sind dafür langjährige Geduld und kleine Schritte nötig. Häufig genug machen wir die Erfahrung, dass Ermutigendes und Entmutigendes eng beieinander liegen.
SÜDWIND arbeitet seit nunmehr 22 Jahren daran, Strukturen zu verändern."
Auf S 5 schreibt Dr. Pedro Morazán folgende ernüchternde Zeilen in den Bericht: "'Europa spart auf Kosten der Armen' ist in der Presse häufig zu lesen. So hat Spanien seine Entwicklungshilfe um ca. 600 Mio. Euro gekürzt und Österreich hat seine Leistungen für die internationale Armutsbekämpfung bereits in den vergangenen Jahren um fast ein Drittel zurückgefahren. Auch Frankreich hat die Entwicklungshilfe um mehr als 60 Mio. Euro reduziert. Unter diesen Bedingungen ist die Verführung groß, zurückgehende Leistungen durch kreative Buchführung zu polieren. So werden die Kosten für die Abschiebung von EinwanderInnen ebenso als Entwicklungshilfe angerechnet wie der Erlass von Schulden, die entweder nie bedient worden wären, wie im Fall der HIPC-Initiative, oder illegitim waren, wie im Fall Irak."
Zwischendurch auf S 6 ein Hoffnungsschimmer von Irene Knoke: "In der knapp dreiwöchigen Vorortphase konnte sich SÜDWIND davon überzeugen, dass im Rahmen des Projekts bei den KleinbäuerInnen mit sehr einfachen Verbesserungen enorme Ertragssteigerungen erzielt werden konnten."
Dann macht sich wieder Ernüchterung breit im Bericht Die Entwicklungspolitik der EU soll besser koordiniert werden von Dr. Pedro Morazán auf den Seiten 7f: "Fragmentierung, d.h. zu viele Geber in zu vielen Ländern mit zu kleinen Projekten, gilt schon lange als ein großes Problem der internationalen Entwicklungszusammenarbeit. ...
Die Europäische Union wollte mit gutem Beispiel vorangehen und hat auf Anregung von Deutschland sogar einen 'Verhaltenskodex für Komplementarität und Arbeitsteilung' in der europäischen Entwicklungspolitik zwischen den Mitgliedsstaaten formuliert. ...
Die Studie kommt zu dem Schluss, dass die im Verhaltenskodex definierten Vorgaben und Selbstverpflichtungen zu mehr Koordinierung der EU-Gelder nicht erfüllt wurden. Ganz im Gegenteil: Wie der Fall Deutschland zeigt, ist die Anzahl der Länder, in denen die deutsche Entwicklungshilfe vertreten ist, in den letzten Jahren gestiegen und nicht zurückgegangen. Dafür werden drei Gründe genannt: 1. Es gibt keine einheitliche Definition von Koordinierung, die von allen EU-Gebern akzeptiert wird. 2. Nationale Interessen bei den Geberländern sind wichtiger als EU-Gemeinschaftsinteressen und 3. Für die meisten Regierungen iin den Partnerländern hat sich eine zersplitterte Gebergemeinschaft als viel vorteilhafter erwiesen."
Ähnlich erhellend wirkt der Bericht von Antje Schneeweiß über Sozialverantwortliche Geldanlagen auf den Seiten 11f: "Anhand von 22 Interviews mit Unternehmen wurde untersucht, welchen Stellenwert 'Best-in-Class'-Ratings bei Unternehmen haben und welche Veränderungen sie bewirken. Lediglich zwei Unternehmen nannten konkrete Veränderungen, die sie aufgrund der Ratings umgesetzt hatten. Ein Unternehmen kauft aufgrund der Ratings mehr fair gehandelte Waren ein und ein anderes hatte sich ehrgeizigere Klimaziele gesetzt. Der wichtigste Grund für dieses ernüchternde Ergebnis war der mangelnde ökonomische Druck nachhaltiger InvestorInnen."
In einem anderen Bericht auf S 17 nimmt dieselbe Autorin gemeinsam mit Friedel Hütz-Adams die bereits oben beschriebenen Probleme mit den Selbstverpflichtungen ins Visier: "Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die Umsetzung von freiwilligen Standards vor großen Hürden steht. Viele Regierungen sehen es weder auf nationaler noch auf internationaler Ebene als eine Priorität an, freiwillige Standards durchzusetzen. Dies wiederum führt dazu, dass auch viele Unternehmen nicht sehr aktiv werden. Auch die effektive Überwachung der Einhaltung der Standards ist problematisch. Damit ist unklar, welche Reichweite freiwillige Standards überhaupt entfalten können, was es wiederum für KonsumentInnen, InvestorInnen und PolitikerInnen nahezu unmöglich macht, aus den Standards eine Orientierung für ihr Handeln abzuleiten. Es besteht sogar das Risiko, dass Unternehmen sich an Versuchen beteiligen, freiwillige Sozialstandards umzusetzen und auch mit dieser Beteiligung zu werben, in Wahrheit aber wenig an ihrem tatsächlichen Geschäftsgebaren ändern."
Friedel Hütz-Adams zum Thema Vernetzung zunächst allgemeiner, dann konkreter auf den Seiten 19f: "Die bei SÜDWIND Engagierten glauben fest daran, dass eine andere, eine gerechtere Welt möglich ist. Aber sie wissen auch, dass man nur gemeinsam stark genug ist, diese andere Welt Wirklichkeit werden zu lassen. Die Verbindung und Zusammenarbeit mit anderen Engagierten auf lokaler, europäischer und globaler Ebene ist der Schlüssel zum Erfolg bei der Arbeit für mehr Gerechtigkeit. ...
Die Arbeit im Forum stockt noch an einigen Punkten. Insbesondere eine der Hauptforderungen von SÜDWIND konnte bislang noch nicht umgesetzt werden: So ist es dringend erforderlich, dass Unternehmen eine Plattform schaffen, um ihre Erfahrungen mit Projekten, insbesondere in den Kakaoanbaugebieten Westafrikas, auszutauschen. Immer wieder scheitern Projekte, da zu wenig über das genaue Umfeld bekannt ist. Werden solche Informationen nicht zugänglich gemacht, kann aus den Fehlern der Vergangenheit nicht gelernt werden."
Und zuletzt antwortet die ehemalige und erste wissenschaftliche Mitarbeiterin Ingeborg Wick auf die von Jiska Gojowczyk gestellte Frage Was würdest du SÜDWIND für die weitere Arbeit wünschen? (S 23): "Mehr sichere Finanzmittel, vielleicht über eine breitere Spendenbasis, und mehr Personal, damit Themen wirkungsvoll fortentwickelt werden können. Bei der Unternehmenskritik sollte SÜDWIND auch zukünftig die eigene Unabhängigkeit wahren. Und trotz zeitlicher Engpässe durch die steigende Zahl von Projekten sollte SÜDWIND weiter in sozialen und politischen Bündnissen verankert bleiben. Schließlich fände ich es gut, wenn SÜDWIND nach neuen Themen sucht, auch bereichsübergreifend, wie dies zur Zeit zu Migration diskutiert wird."