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Daniel Glattauer - Darum

Wenn du wissen möchtest, ob dich "Darum" von Daniel Glattauer vielleicht interessiert, dann lies doch mal diesen Ausschnitt ab S. 148 daraus:

Ich hatte verlernt, mich auf etwas zu freuen. Was mir blieb, war Aufregung ohne Gebrauchsanleitung, sie aus mir rauszulassen. Überdruck ohne Ventil. Kalter Schweiß unter der Haut. Ich dachte an Delia, wie sie sich von ihrem Romancier Jean Legat küssen ließ. Ich musste mich übergeben. Ich redete mir ein, dass es die Kartoffelsuppe war.
"Es ist der Kreislauf", attestierte der Amtsarzt, zu dem sie mich gezerrt hatten, weil ich kreidebleich auf dem Fußboden gelegen war. "Sie sollten Sport machen, Sie sollten wieder zu laufen beginnen, das hat Ihnen gutgetan", sagte er. Ich dachte an die Tischlereiwerkstatt und mir wurde gleich wieder übel. Wenigstens ließ man mich den restlichen Tag in Ruhe. Als es dunkel wurde, ging es mir besser. Ich wartete auf den blutlosen Grafen mit dem Schlüssel. Das machte Sinn. Das setzte den Kreislauf außer Kraft.
Um Mitternacht duschte und rasierte ich mich und zog frisch gewaschene Sachen an. Adrenalin war mein Aufputschmittel. Kurz dachte ich, dass ich mit mir im Reinen war und dass nichts Böses geschehen sein konnte in den letzten dreizehn Wochen. Dann sah ich mein Gesicht im Spiegel. Ich sah mir beim Weinen zu, wie sich der Mund verzerrte, wie die Augen schmal wurden, wie mich die Falten entstellten. Ich strich mir die Strähnen aus der Stirn und zählte die grauen Haare an den Schläfen. Bei sechzig hörte ich auf.
Der Graf kam pünktlich. Er hatte die Handschellen für mich dabei. Wir schlichen den düster beleuchteten Gang entlang. Die Wände gaben den Geruch von lebenslanger Kartoffelsuppe wieder. Vor manchen Zellen lagen noch die leeren Blechtröge, als würden hinter den Eisengittern frisch abgespeiste wilde Tiere schlummern. Wir ließen die letzten Stöhn- und Schnarchgeräusche hinter uns und erreichten den Juristentrakt, wo Mauer endlich nach Mauer roch. Im Dunkeln tasteten wir uns zum Ziel.
Der Graf knackte die Handschellen am Türrahmen, schob mich in Helenas Büro, schloss die Tür von außen und sperrte zu. Das Rascheln des Schlüsselbunds wurde leiser und leiser, bis es verschwand. Der Raum war überheizt und vollkommen schwarz, die Jalousien waren runtergelassen. Der Schweiß unter meiner Haut erhitzte sich und trat aus. Mein Tastsinn verließ mich. Ich blieb stehen und wartete, bis mich die Angst einfing. Schlechter Scherz? Böses Spiel? Intrige? Falle? Ich dachte an die Tischlereiwerkstatt. Der Hilfeschrei steckte mir bereits im Rachen. Ich musste nur noch den Mund öffnen und ihn rauslassen.
Da erlöste mich Helenas lautlose Stimme: "Jan, ich bin hier." Das kam von der Couch, auf der die Pariserin die Beine doppelt überkreuzt hatte. Ich tastete mich hin. Helenas Geruch lief mir entgegen, umarmte mich, hüllte mich ein. Ewiger windstiller Herbst.
"Schön, dass du da bist", flüsterte sie. Man hörte es nicht. Ich verstand es nur, weil ich es gleichzeitig mit ihr sprach. Ich kroch zu ihr unter die Decke, schmiegte mich an sie, drückte sie an mich, umschlang sie mit Armen und Beinen. So verharrte ich unverschämt, als hätte ich ein Anrecht auf ewige Geborgenheit. Nur die Bürouhr tickte gnadenlos dagegen an. Sie trieb mir in immer neuen Schüben heißen Schweiß auf die Stirn.
"Du hast Schüttelfrost", sagte Helena nach einigen Stunden. - "Mein Kreislauf", erwiderte ich. "Du solltest mehr Sport machen, du solltest vielleicht wieder laufen gehen", flüsterte sie. Ich lächelte. Ich küsste sie. Es war bereits ein Kuss in die andere Richtung, einer, der uns dem Abschied näher brachte. Ich befand mich im freien Fall und wartete auf den Aufprall. Ich versteckte mich vor mir. Ich schmiegte mich an Helenas heiße Haut. Ich verkroch mich unter der Decke. Aber das Geräusch kam näher und näher. Und dann stand der Graf mit dem Schlüsselbund vor der Tür und rasselte die Trennung herbei. Helena musste bleiben. Ich wurde abgeholt.

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