Je mehr unsere Aufmerksamkeit auf Handeln gerichtet ist,
umso wichtiger wird zeitweises Innehalten und Reflektieren.

Lesen Sie die berührende und für zahlreiche Mobbingfälle stellvertretende Geschichte einer engagierten Ärztin und Hubschrauberpilotin der deutschen Bundeswehr. Der Bericht stammt von Ingrid Eissele und wurde in der Hamburger Wochenzeitschrift Stern veröffentlicht.

 

 

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Der Brief trug den Vermerk »Persönlich! Personalangelegenheit!« und kam an einem Freitag. Sie zögerte lange ihn zu öffnen und rief eine Freundin an. »Warten hilft ja doch nix«, meinte die. Das Schreiben befahl, militärisch knapp, ohne Anrede und Gruß, ihre sofortige Versetzung.

Einen Tag später fanden Freunde sie auf der Couch ihrer Wohnung in Landsberg. Sie hatte ein Gemisch aus Insulin, Schlaftabletten und Alkohol genommen und lag im Koma. Um sich herum Fotos aus ihrer Fliegerkarriere, an Bord einer Transall, im Cockpit des Hubschraubers Bel-UH 1 D, im Schulterschluss mit Piloten. Seitdem spekulieren die Medien über die Hintergründe des Selbstmordversuchs. Denn Dr. Christine Bauer, 49, Bundeswehrärztin am Fliegerhorst im bayrischen Penzing, war nicht irgendeine Medizinerin, sondern die erste Hubschrauberpilotin der Bundeswehr und seit Jahren der lebende Beweis für einen offeneren Geist der Truppe. »Ich werde hier nicht an meinem Geschlecht gemessen«, hatte Oberfeldarzt Christine Bauer noch vor zwei Jahren erklärt, »sondern an meinen Leistungen.«

Das Gegenteil war der Fall, sagt die SPD-Bundestagsabgeordnete Uta Titze-Stecher aus Bayern. Ausgerechnet die couragierte, tüchtige Soldatin sei von Vorgesetzten seit Monaten gemobbt und von der politischen Führung im Verteidigungsministerium im Stich gelassen worden. Titze-Stecher benennt auch die Verantwortlichen für die Verzweiflungstat: darunter ihren Parteifreund, Minister Rudolf Scharping, und seinen Staatssekretär Peter Wichert.

Als Christine Bauer 1978 zur Bundeswehr kam, war sie eine Exotin. Kaum einssechzig groß, zierlich, aber selbstbewußt, ehrgeizig und vor allem flugbegeistert. Frauen sollten selbstverständlich Dienst an der Waffe machen, erklärte sie in einem Zeitschrifteninterview, »wenn sie leistungsbereit und keine Püppchen sind«.

Christine Bauer war alles andere als ein Püppchen. Als Fallschirmspringerin wurde sie Deutsche Meisterin beim Ziel- und Figurenspringen. Dennoch wollte man sie beim Heer vom Springen ausschließen. »Absurd«, protestierte sie, »in der Nationalmannschaft hatte ich schon tausend Sprünge hinter mir.«

Sie boxte sich durch, ließ sich als Sanitätsärztin zur Luftwaffe versetzen und absolvierte dort als erste Frau bei der Bundeswehr -eine Pilotenausbildung. Sie lernte, Militärhubschrauber zu steuern, begleitete Piloten in Transallmaschinen nach Ruanda und Sarajevo und genoss die Anerkennung der Kollegen.

Noch mehr Respekt verschaffte ihr aber ihre Unerschrockenheit gegenüber Autoritäten. Sie setze sich »engagiert und beherzt« für ihre Leute ein, »wobei es ihr nie an Zivilcourage mangele« und sie sich »weder durch Dienstgrade noch durch -stellung irritieren« lasse. Das bescheinigte ihr in mehreren Zeugnissen ihr Vorgesetzter Oberstarzt Rüdiger R., jener Mann, der sich später gegen sie stellen sollte, »Sie war die Vorzeigefrau, sie war unser Aushängeschild. Aber sie wurde unseren Vorgesetzten irgendwann zu unbequem«, sagt jetzt ein Pilot ihrer Einheit. Je höher ihr Ansehen beim »Fußvolk«,desto skeptischer wurde offenbar ihr Chef in Münster.

Denn Christine Bauer ließ sich nicht in ihre Entscheidungen hineinreden. Sie verordnete, trotz Skepsis ihres Vorgesetzten, manchmal auch homöopathische Medikamente, überwies Spezialfälle zu zivilen Fachärzten, statt selbst an ihnen herumzudoktern, ließ einen Soldaten mit dem Hubschrauber in die Klinik fliegen, obwohl ihr Vorgesetzter den Transport im Krankenwagen für ausreichend hielt. Als Soldatin musste sie aber nicht nur militärische, sondern auch medizinische Weisungen höherer Ränge akzeptieren. Als sie vergangenen November von einem mehrtägigen Pilotentraining am Simutator in Norddeutschland zurückkam, fand sie ihr Büro versiegelt vor.

Ihr Vorgesetzter Oberstarzt Rüdiger R. hatte die Räume durchsuchen lassen. Ihre Mitarbeiter seien zum Schweigen verdonnert, Patientenakten mit privaten Details herausgenommen und kopiert worden, empörte sich Christine Bauer.

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