Anstelle eines Schlusswortes gibt Barbara Berckhan
ihre eigene, tröstliche Geschichte
zum Besten.

Vielleicht entdecken Sie darin eine oder gar Ihre persönliche Lebensweisheit ...


 

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Ich hatte an dem Tag lange genug an diesem Buch gearbeitet. Ich ging ins Kaufhaus und wollte mir ein wirklich gutes Fahrradschloss kaufen. Ich hatte Glück. Eine Verkäuferin holte Bügelschlösser aus einer großen Kiste und warf sie auf einen Verkaufstisch. Die sahen wirklich stabil aus. Ich nahm eines in die Hand, nur der Preis fehlte daran.

"Bitte, was kosten die Fahrradschlösser?", fragte ich die Verkäuferin, die wieder einen Schwung dieser Schlösser auf den Verkaufstisch warf.

"Ja sind Sie blind oder können Sie nicht lesen?", fauchte sie, ohne mich anzusehen.
"Hier auf dem großen Schild steht groß und deutlich der Preis."

Über dem Verkaufstisch hing tatsächlich ein großes Schild mit dem Preis. Ich hatte es einfach nicht gesehen. Ich murmelte etwas irritiert: "O Verzeihung", legte das Schloss zurück und ging weiter.

Nach etwa einer Minute fing ich an, mich zu ärgern. Ich hatte eine höfliche Frage gestellt und nur eine patzige Antwort bekommen. Und das ausgerechnet mir! Ich arbeitete gerade an einem Buch zur Selbstverteidigung mit Worten, gebe dazu Seminare, Trainings und das schon seit Jahren, ich erkläre anderen Leuten, was sie auf solche Patzigkeiten antworten können, und dann fällt mir nichts anderes ein, als mich zu entschuldigen! (Nur gut, dass keiner meiner Seminarteilnehmer/innen das gesehen hat.)

Während ich ziellos durch das Kaufhaus lief, ging mir die Situation wieder und wieder durch den Kopf. Was hätte ich antworten können, als die Verkäuferin mich fragte, ob ich nicht lesen könne? Eine entgiftende Gegenfrage stellen, etwa: "Was verstehen Sie unter `lesen´?"
Oder ein kleines Lob: "Mir gefällt die Art, wie Sie mit den Kunden umgehen."
Oder hätte ich ganz professionell antworten sollen: "Ich bin Kommunikationstrainerin. Wenn Sie daran interessiert sind, bessere Verkaufsgespräche zu führen, dann wenden Sie sich ruhig an mich. Hier ist meine Visitenkarte."
Tatsächlich blieb ich stumm. War ich etwa unfähig, das zu tun, was ich in meinen Seminaren unterrichtete? Schrieb ich die Bücher, die ich selbst am drinigendsten lesen musste?

Dann fiel mir auf, dass ich mich schon viel zu lange mit einer Sache beschäftigte, die real höchsten neunzig Sekunden gedauert hatte. Warum war ich so fassungslos? Ich irrte immer noch durchs Kaufhaus und hatte immer noch kein Fahrradschloss gekauft, ich war also weit entfernt von meinen ursprünglichen Plänen. Mittlerweile plante ich ein Buch zu schreiben über die mangelnde Höflichkeit in Kaufhäusern. Erst in der Cafeteria kam ich langsam zur Besinnung. Ich verstand, was passiert war.

In der buddhistischen Zen-Meditation wird darauf geachtet, dass der Meditierende nicht einschläft oder langsam wegdöst. Dazu verabreicht ein Zen-Meister leichte Stockschläge auf die Schultern des Meditierenden. Das dient nicht der Bestrafung, sondern soll die Energie wieder in Bewegung bringen. Diese leichten Stockschläge werden mit einem sehr präzisen Ritual ausgeführt. Durch viele Verbeugungen wird der gegenseitige Respekt ausgedrückt.

Genau das ist mir auch passiert. Das Leben ist eine gütige Zen-Meisterin, die mich sanft aufgeweckt hat. Ich war gerade dabei, mit meinen vertrauten Meinungen und Überzeugungen einzuschlafen. Falls ich je gedacht hatte, dass wir uns immer mit Worten verteidigen können, dann war diese Illusion jetzt zerstört. Es gibt Situationen, da erwischt es uns eiskalt. Uns fällt nichts ein - obwohl wir unsere Schlagfertigkeit eifrig trainiert haben, obwohl wir uns geschworen haben, souverän und machtvoll aufzutreten, unseren Schutzschild aufzubauen und uns nicht treffen zu lassen.

Es geht nicht darum, immer richtig zu reagieren. Viel wichtiger ist, dass wir uns selbst nicht angreifen, dass wir mit unserer eigenen Unvollkommenheit Freundschaft schließen. Vielleicht gelingt es uns dann zu akzeptieren, dass auch die anderen unvollkommen sind.

Barbara Berckhan, Die etwas intelligentere Art, sich gegen dumme Sprüche zu wehren, München: Kösel, 1998, S 155 ff