Ich hatte an dem Tag lange genug
an diesem Buch gearbeitet. Ich ging ins Kaufhaus und wollte mir
ein wirklich gutes Fahrradschloss kaufen. Ich hatte Glück.
Eine Verkäuferin holte Bügelschlösser aus einer
großen Kiste und warf sie auf einen Verkaufstisch. Die
sahen wirklich stabil aus. Ich nahm eines in die Hand, nur der
Preis fehlte daran.
"Bitte, was kosten die Fahrradschlösser?",
fragte ich die Verkäuferin, die wieder einen Schwung dieser
Schlösser auf den Verkaufstisch warf.
"Ja sind Sie blind oder können
Sie nicht lesen?", fauchte sie, ohne mich anzusehen.
"Hier auf dem großen Schild steht groß und deutlich
der Preis."
Über dem Verkaufstisch hing
tatsächlich ein großes Schild mit dem Preis. Ich hatte
es einfach nicht gesehen. Ich murmelte etwas irritiert: "O
Verzeihung", legte das Schloss zurück und ging weiter.
Nach etwa einer Minute fing ich an,
mich zu ärgern. Ich hatte eine höfliche Frage gestellt
und nur eine patzige Antwort bekommen. Und das ausgerechnet mir!
Ich arbeitete gerade an einem Buch zur Selbstverteidigung mit
Worten, gebe dazu Seminare, Trainings und das schon seit Jahren,
ich erkläre anderen Leuten, was sie auf solche Patzigkeiten
antworten können, und dann fällt mir nichts anderes
ein, als mich zu entschuldigen! (Nur gut, dass keiner meiner
Seminarteilnehmer/innen das gesehen hat.)
Während ich ziellos durch das
Kaufhaus lief, ging mir die Situation wieder und wieder durch
den Kopf. Was hätte ich antworten können, als die Verkäuferin
mich fragte, ob ich nicht lesen könne? Eine entgiftende
Gegenfrage stellen, etwa: "Was verstehen Sie unter `lesen´?"
Oder ein kleines Lob: "Mir gefällt die Art, wie Sie
mit den Kunden umgehen."
Oder hätte ich ganz professionell antworten sollen: "Ich
bin Kommunikationstrainerin. Wenn Sie daran interessiert sind,
bessere Verkaufsgespräche zu führen, dann wenden Sie
sich ruhig an mich. Hier ist meine Visitenkarte."
Tatsächlich blieb ich stumm. War ich etwa unfähig,
das zu tun, was ich in meinen Seminaren unterrichtete? Schrieb
ich die Bücher, die ich selbst am drinigendsten lesen musste?
Dann fiel mir auf, dass ich mich
schon viel zu lange mit einer Sache beschäftigte, die real
höchsten neunzig Sekunden gedauert hatte. Warum war ich
so fassungslos? Ich irrte immer noch durchs Kaufhaus und hatte
immer noch kein Fahrradschloss gekauft, ich war also weit entfernt
von meinen ursprünglichen Plänen. Mittlerweile plante
ich ein Buch zu schreiben über die mangelnde Höflichkeit
in Kaufhäusern. Erst in der Cafeteria kam ich langsam zur
Besinnung. Ich verstand, was passiert war.
In der buddhistischen Zen-Meditation
wird darauf geachtet, dass der Meditierende nicht einschläft
oder langsam wegdöst. Dazu verabreicht ein Zen-Meister leichte
Stockschläge auf die Schultern des Meditierenden. Das dient
nicht der Bestrafung, sondern soll die Energie wieder in Bewegung
bringen. Diese leichten Stockschläge werden mit einem sehr
präzisen Ritual ausgeführt. Durch viele Verbeugungen
wird der gegenseitige Respekt ausgedrückt.
Genau das ist mir auch passiert.
Das Leben ist eine gütige Zen-Meisterin, die mich sanft
aufgeweckt hat. Ich war gerade dabei, mit meinen vertrauten Meinungen
und Überzeugungen einzuschlafen. Falls ich je gedacht hatte,
dass wir uns immer mit Worten verteidigen können,
dann war diese Illusion jetzt zerstört. Es gibt Situationen,
da erwischt es uns eiskalt. Uns fällt nichts ein - obwohl
wir unsere Schlagfertigkeit eifrig trainiert haben, obwohl wir
uns geschworen haben, souverän und machtvoll aufzutreten,
unseren Schutzschild aufzubauen und uns nicht treffen zu lassen.
Es geht nicht darum, immer richtig
zu reagieren. Viel wichtiger ist, dass wir uns selbst nicht angreifen,
dass wir mit unserer eigenen Unvollkommenheit Freundschaft schließen.
Vielleicht gelingt es uns dann zu akzeptieren, dass auch die
anderen unvollkommen sind.
Barbara Berckhan, Die etwas
intelligentere Art, sich gegen dumme Sprüche zu wehren,
München: Kösel, 1998, S 155 ff