Beachtung struktureller Belange
als
eine "Ursache" von Mobbinghandlungen
Vom norwegischen Friedensforscher Johan Galtung soll der Satz
stammen: "Wo immer Menschen an der Befriedigung ihrer historisch
möglichen Grundbedürfnisse gehindert werden, da wohnt
kein Friede, da herrscht Gewalt."
Er unterschied zunächst zwei Arten von Gewalt: die personale
(a. körperliche und b. psychische [z. B. Mobbing ...]) und
die strukturelle. Später führte er noch den
Begriff kulturelle Gewalt ein, die z. B. durch Wissenschaft,
Sprache, Symbole oder Religion begründet wird. (vgl. Jens-Peter
Kruse / Martin Rosowski)
Insbesondere Personalentwickler und Interessenten eines möglichst
gewalt- und mobbingfreien Betriebsklimas (Kostenfaktor!) sollten
daher ein Auge auf betriebliche Strukturen werfen. Diese bestehen
aus versachlichten Regeln, Institutionen, Vorschriften oder Artefakten
(wie Maschinen, Programmen, Architektur). Der dahinterstehende
herrschaftliche Charakter von Personen oder Gruppen wird darin
nicht mehr erkannt. Konkretere Begriffe sollen dies verdeutlichen:
Randbelegschaften, Teilzeitkräfte, zeitbefristete Arbeitsverträge,
Beförderungsgrundsätze, Arbeitsanalyseverfahren, Entgeltfindungssysteme,
Leistungsmess-Einrichtungen etc. Der ständig steigende Druck
drohender Arbeitslosigkeit wirkt weiter zermürbend. (vgl.
Oswald Neuberger, Mobbing: übel mitspielen in Organisationen,
3. verb. u. wesentl. erw. Aufl., München; Mering: Hampp,
1999, S 67)
Durch die Beseitigung bzw Veränderung struktureller Gegebenheiten
werden sicherlich keine gewalt- und mobbingfreien "Arbeitsräume"
geschaffen. Denn diese sind nicht letztverantwortlich zu machen
für das Handeln und Nichthandeln von Mobbern und Personen,
die Mobbing durch andere ermöglichen. Doch zumindest sollte
damit Mobbing an Vorgesetzte bzw Bossing eine Milderung erfahren.
Begleitende persönlichkeitsbildende und erkenntniserweiternde
Maßnahmen (Vorträge, Rollenspiele etc) sind dabei
eine durchaus sinnvolle, wenn nicht sogar notwendige Ergänzung.
Siehe dazu auch das Konzept Gestalt-Kunst-Kultur.
Freuds Analyse der Gesellschaft bedeutet, dass
wir dauernd mit Ausbrüchen von Aggressionen rechnen müssen,
die als Potenzial in jedem Individuum einen Platz haben und unter
gegebenen Umständen zu einem sozialen Ausbruch kommen können.
Das ist keine angenehme Gewissheit, und ich glaube, das ist einer
der wichtigsten Gründe, weshalb Ambivalenz gegenüber
Freuds Theorien so ubiquitär ist. Es ist natürlich
auch seine Theorie des Unbewussten, der kindlichen Sexualität,
die gegen unser konventionelles Denken stehen. Aber die Gefahren
einer unbewussten Disposition zur selbstzerstörerischen
Aggression sind fast noch schwerer in unseren allgemeinen Anschauungen
zu verankern.
Und das führt zu einem sozialen Unbehagen,
einem "Unbehagen" in der Kultur, das sich in einem
fast bewussten Unterdrücken der problematischen Natur menschlicher
Aggression zeigt. Es gibt kulturelle Abwehrmechanismen gegen
unbequeme Erkenntnisse, und die Psychoanalyse steht sehr im Vordergrund,
wenn es um unbequeme Erkenntnissen geht.
entnommen aus: "Eros und Thanatos: Zu lange verdrängt"
VON OTTO KERNBERG (Die Presse) 25.03.2006