Das hierarchische System sieht vor, dass der Meister auf den
Gesellen Druck ausübt und der Geselle diesen Druck auf den
Lehrling weitergibt. Wo aber soll der Lehrling diese Druckwellen
abbauen? Vor allem dann, wenn der Jugendliche aus einer Familie
stammt, die finanzielle Probleme hat, oder das Kind eines sehr
belasteten alleinerziehenden Elternteiles ist, wird er versuchen,
allein mit seinen Problemen fertig zu werden. Aber mit niemandem
darüber reden zu können, macht die Situation immer
schlimmer und fügt schwere seelische Verletzungen zu. Was
fehlt, ist ein Ausweg: denn gerade aus Geld-Gründen sind
viele Lehrlinge gezwungen, sich an ihren Arbeitsplatz zu klammern,
auch wenn sie alles andere als motivierend behandelt werden.
Oft kämpft die berufstätige Mutter an ihrem Arbeitsplatz
ebenfalls mit einem ungerechten Druck, wobei nach Berichten von
Franz Borstner vor allem Reinigungspersonal aggressiv und beleidigend
"buchstäblich wie ein Putzfetzen" behandelt wird.
Auch diese Frauen haben wie so viele Lehrlinge Angst, ihren Arbeitsplatz
zu verlieren, und sind dadurch der Situation ausgeliefert, sich
weiterhin unter Druck setzen zu lassen.
Um jenen Lehrlingsalltag, der von erschreckend negativen Erlebnissen
geprägt ist, zum Besseren zu verändern, hat Franz Borstner
Lehrlingen nicht nur ein Gesprächsforum angeboten, sondern
im Sinne von Menschenwürde auch einen Aufkleber mit den
Worten "Hier arbeitet ein Mensch" drucken lassen. Diese
vier Worte, die auf eine Wand, auf eine Schranktüre oder
auf einen Werkzeugkasten geklebt werden, haben in den zwei Jahren,
seit sie in Betrieben eingesetzt werden, Erstaunliches bewirkt.
Einerseits haben sie das Selbstwertgefühl der betroffenen
Lehrlinge gestärkt, zum anderen waren sie in vielen Fällen
der erste Schritt, beleidigenden oder unterdrückenden Umgang
mit jungen Menschen abzuschaffen. Ein Betriebschef hat sogar
spontan auf das "Menschenrechts-Pickerl" reagiert.
Unter dem Aspekt, dass eigentlich (fast) jeder Mensch ein Mensch
sein will, war der erste Tag des Aufklebers der erste Tag, an
dem der Vorgesetzte nicht durch die Werkstatt gebrüllt hat.
Das Symbol des Protestes führte so weit, dass der selbe
Mann am Abend nach der Arbeit seine Beschäftigten sogar
auf ein Glas Bier eingeladen hat.